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Der Ölpreis und Libanon


Von F. William Engdahl, 21.3.05


Der Anstieg des Ölpreises in diesen Tagen auf über 53 Dollar pro Barrel an der Terminbörse für Energie und Edelmetalle NYMEX (New York Merkantile Exchange) hat weit mehr mit den Ereignissen im Nahen Osten, besonders in Libanon, zu tun als mit tiefen Wintertemperaturen oder den wöchentlichen Produktionsmengen der Raffinerien in den USA. Die -Regierung in Washington hat klar -gezeigt, dass sie eine dramatische Veränderung der Verhältnisse in Libanon als Auftakt zu demselben Vorgang in Syrien voll unterstützt. Vielen Ölhändlern, unter anderem auch japanischen Handelsgesellschaften und den Chinesen, dämmert es, dass dieser Druck aus Washington auf Syrien infolge der Ermordung von al-Hariri mehr damit zu tun hat, die strategischen Pläne der USA im Nahen Osten zu unterstützen, als damit, dass Washington sich um die Gerechtigkeit oder um die libanesische Souveränität Sorgen macht.

Die Ermordung des libanesischen Führers al-Hariri, eines den Saudis nahestehenden sunnitischen Milliardärs, beurteilt man in weiten Teilen der Welt, insbesondere im Nahen Osten, in zweierlei Hinsicht. Zum einen hat Israel ein Interesse daran, die Organisation Hisbollah aus Libanon und aus Syrien zu entfernen. Zum anderen hat -Washington ein Interesse daran, sein Fünfjahresprogramm bezüglich Krieg und Regimewechsel im Nahen Osten durchzuziehen, um eine unmittelbare und dauerhafte Kontrolle über das Öl in dieser Region zu etablieren.

Allen Berichten zufolge wurde die Ermordung mit höchster Präzision ausgeführt. Natürlich wäre der syrische Geheimdienst dazu in der Lage. Aber warum sollte er so etwas tun? Weil al-Hariri in jüngster Zeit an Syrien appelliert hatte, Truppen abzuziehen? al-Jazzera berichtet: «al-Hariris Ermordung hat der Hisbollah einen schweren Schlag versetzt, da sie in dem umgebrachten Milliardär einen starken Verbündeten verloren hat. al-Hariri hatte Kontakt zu seinen europäischen Freunden aufgenommen, um zu verhindern, dass sie die Hisbollah auf die Liste der terroristischen Organisationen setzen, wie Israel dies verlangt hatte, sagte Nasr Allah, der von Syrien und vom Iran unterstützte Führer der Hisbollah.» Es scheint also, dass die Hisbollah nicht hinter der Ermordung steckt.

Wenn wir auf den von Douglas Feith und Richard Perle verfassten Think-tank-Bericht für die israelische Likud -Regierung von Benjamin Netanjahu mit dem Titel «A Clean Break» zurückgreifen, sehen wir, dass die im Pentagon sitzenden Planer des Irak-Krieges von 2003 den Irak lediglich als das erste Land für einen Regimewechsel im Nahen Osten ansahen, dem weitere folgen sollten, und dass auf der Liste ihrer Ziele als nächstes Syrien und seine Verbindungen zu Libanon standen. Die folgenden Zitate stammen aus diesem -Bericht mit dem Untertitel «Sicherung der nördlichen Grenze» (Auswahl, 8-14):

  • «Syrien bedroht Israel von libanesischem Boden aus.»
  • Israel sollte die Hisbollah, Syrien und den Iran als die Hauptaggressoren in Libanon angreifen durch:
  • Angriffe auf militärische Einrichtungen der Syrer in Libanon und - falls sich das als ineffizient herausstellen sollte Angriffe auf ausgewählte Ziele in Syrien selbst.
  • «Angesichts der Beschaffenheit des Regimes in Damaskus ist es für Israel natürlich und moralisch vertretbar, den Slogan vom 'umfassenden Frieden' aufzugeben und Schritte zur Eindämmung Syriens zu unternehmen, [...] sowie 'Land gegen Frieden'-Deals auf den Golanhöhen zurückzuweisen.»
  • Und unter dem Untertitel «Bewegung in Richtung auf eine Strategie des traditionellen Machtgleichgewichts»:
    • «Israel kann sein strategisches Umfeld in Zusammenarbeit mit der Türkei und mit Jordanien durch Schwächung, Eindämmung und Zurückdrängung von Syrien gestalten.»
    • «Diese Anstrengung kann sich darauf konzentrieren, Saddam Hussein von seiner Machtposition im Irak zu entfernen - bereits für sich genommen ein wichtiges strategisches Ziel - als Mittel, um Syriens Ambitionen in der Region zu vereiteln.»
    • «Damaskus befürchtet, dass eine Ðnatürliche Achseð mit Israel auf der einen, Zentral-Irak und der Türkei auf der anderen Seite und Jordanien in der Mitte, Syrien einengen und von der saudischen Halbinsel abschneiden würde. Für Syrien wäre dies der Auftakt zu einer Neugestaltung der Karte des Nahen Ostens [...]»
  • Diese Auszüge stammen aus dem in Washington und Jerusalem ansässigen privaten Think-tank «The Institute for Advanced Strategy and Political Studies» und dessen 1996 von der «Study Group on a New Israeli Strategy Toward 2000» verfassten Papier für die israelische Regierung. Bei diesem Dokument ist schon allein seine blosse Existenz äusserst bemerkenswert, stellt es doch ein von Mitgliedern der gegenwärtigen US-Regierung verfasstes politisches Manifest für die israelische Regierung dar.
  • Es ist nützlich, hier die Erinnerungen von Paul O'Neill, dem früheren Schatzminister von Bush, festzuhalten, der von Cheney und Bush gefeuert wurde, weil er sich nicht ausreichend als Teamspieler erwiesen hatte. O'Neill erinnert sich an seine erste Kabinettsitzung mit Bush im Jahr 2001. «Die neue Politik Bushs hätte von jedem Präsidenten eine ziemlich aggressive Vorgehensweise gefordert, und besonders von einem Präsidenten, der zuvor wenig Interesse an internationalen Angelegenheiten gezeigt hatte. Wir werden die Unausgewogenheit der Vorgängerregierung in bezug auf den Konflikt im Nahen Osten korrigieren, erklärte Bush seiner frisch zusammengesetzten Mannschaft führender Sicherheitsberater im Situation Room am 30. Januar 2001. Wir werden uns wieder Israel zuwenden [...]. Hat irgend jemand hier jemals Ariel Scharon getroffen? Nur Colin Powell hob seine Hand.»

    O'Neill fügt hinzu: «Bush war daran, die Politik von Clinton umzukehren, deren Gewicht stark darauf gelegen hatte, den blutigen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu einem friedlichen Ende zu bringen. Es würde keine Einmischung der USA mehr geben; er würde Scharon die Probleme so lösen lassen, wie es diesem beliebte, mit wenig oder ohne Rücksicht auf die Situation der Palästinenser.» Der Politikwechsel war genau so, wie er von der Einsatzgruppe von Perle im Bericht «Clean Break» empfohlen worden war.

    «Colin Powell, der erst seit wenigen Tagen Aussenminister war, wurde überrascht. Die Vorstellung, dass so ein komplexes Problem, in das Amerika lange Zeit tief verwickelt gewesen war, einfach mit einer Handbewegung beiseite gefegt werden könnte, ergab keinen Sinn. Weil er von Israel ausgehende Aggressionen fürchtete, widersprach er schnell.»

    «Er hob hervor, dass ein Rückzug der Vereinigten Staaten Scharon und die israelische Armee entfesseln würde, erinnerte sich Paul O'Neill, der nur Stunden zuvor von Bush als Schatzminister vereidigt worden war und mit am Tisch sass. Powell sagte zu Bush, die Konsequenzen davon könnten furchtbar sein, besonders für die Palästinenser. Bush zuckte nur die Achseln. 'Manchmal kann eine Machtdemonstration einer Seite Dinge wirklich klären', sagte er. Powell schien entsetzt, sagte O'Neill.»

    Nach der Erinnerung, die O'Neill von diesem Treffen hat, war Rice, jetzt Aussenministerin, zu jener Zeit ganz mit den Plänen von Perle und Feith bezüglich Regimewechsel und preemptiver Kriegsführung einverstanden: «Condoleezza Rice führte die Diskussion an. Aber statt irgend etwas hinsichtlich einer Bedrohung der Vereinigten Staaten oder hinsichtlich Massenvernichtungswaffen zu erwähnen, hielt sie lediglich fest, dass der Irak der Schlüssel für eine Umgestaltung der gesamten Region sein könne. Die Worte waren eindeutig dem „Clean Break“-Report entnommen, der den recht imperialistisch klingenden Untertitel „Eine neue Strategie zur Sicherung des Reiches“ hatte. Daher macht es den Eindruck, dass Frau Rice mindestens seit 2001 mehr als nur hinter den «Clean Break»- Kriegsplänen steht.

    Umfassende Ziele?

    Wenn es zutrifft, dass Israel die Ereignisse rund um den Tod von al-Hariri dazu benutzt, die nächste Phase der Umformung des Nahen Ostens einzuleiten, so ist sich Teheran klar dieser Möglichkeit bewusst. Die offizielle Zeitung «Teheran Times» schreibt am 2. März: «Der Rücktritt des libanesischen Premierministers Karami, der Aufstand von gegen die Regierung opponierenden Gruppen, die Einmischung der Vereinigten Staaten und von anderen westlichen Ländern in die inneren Angelegenheiten Syriens und Libanons sind einige der Entwicklungen der vergangenen Monate, insbesondere seit der Ermordung des früheren libanesischen Premierministers Rafiq al-Hariri im letzten Februar.»

    Die Ereignisse scheinen der Auftakt zu den Veränderungen zu sein, die die USA und andere westliche Länder als Teil einer grösseren Initiative im Nahen Osten umzusetzen hoffen. Die Ermordung Hariris ist noch immer nebulös, und die hinter der Tötung steckenden Agenten sind noch nicht identifiziert worden. Dennoch versuchen verschiedene libanesische Parteien und Gruppen das Ereignis auszuschlachten, was Beirut allerdings nicht helfen wird, seine Probleme zu lösen. Die Ermordung Hariris hat Israel und den Vereinigten Staaten einen Vorwand geliefert, zur Vergeltung libanesische Parteien, insbesondere die Hisbollah, anzugreifen. Sie zielen auch darauf ab, in der politischen Szene des Libanon die Uneinigkeit zu fördern.

    «Israel, die Vereinigten Staaten und andere westliche Länder mischen sich in innere libanesische Angelegenheiten ein, um die Verbindung Teheran-Damaskus-Beirut zu durchtrennen.»

    «Da die USA, Israel und die Europäische Union glauben, mit der Sache der Palästinenser gehe es bergab, weil Mahmud Abbas (Abu Mazen) den Posten als Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde übernommen hat, üben sie Druck auf Syrien aus mit dem Ziel, die palästinensische Widerstandsbewegung und die Hisbollah, die beiden wesentlichen antizionistischen Gruppen, zu zerstören.»

    All dies ruft den Eindruck hervor, dass die neue Regierung in Washington noch geschlossener die strategischen Pläne der neokonservativen Falken im Pentagon und im Amtssitz von Vizepräsident Cheney unterstützt, wobei sie jetzt mit der CIA und offenbar auch dem Aussenministerium gemeinsame Sache machen. Die Tatsache, dass Frankreichs Präsident Chirac opportunistisch den Ruf von Bush nach einem sofortigen Regimewechsel und einem Rückzug der syrischen Truppen aus Libanon unterstützt hat, lässt darauf schliessen, dass Frankreich ein kleines «Stück vom Kuchen» abbekommen hat, vielleicht die Chance, einiges von seinem früheren Einfluss in Libanon zurückzugewinnen. Jedenfalls lassen die Ereignisse um Damaskus und Washington seit der Ermordung den Eindruck entstehen, dass die Langzeitpläne von Perle, Wolfowitz und Co. bezüglich Regimewechsel einen weiteren Schritt in Richtung auf eine Umgestaltung des Nahen Ostens vorwärtsgekommen sind. Die Tatsache, dass der Fahrplan dazu so offensichtlich ein Fahrplan des israelischen Likud ist, bleibt den Beteiligten in der Region nicht verborgen.

    Ein am 26. Februar von Reuters verbreiteter Bericht zitiert diplomatische Dokumente der USA: «In ihren Bemühungen, den Iran daran zu hindern, Nuklearwaffen herstellen zu können, sind die Vereinigten Staaten bereit, den europäischen Alliierten lediglich bis Juni Zeit einzuräumen, Teheran umzustimmen, bevor Washington um UN-Sanktionen nachsuchen wird, heisst es in diplomatischen Kreisen der USA.»

    Der frühere Unscom-Waffeninspektor, der republikanische Ex -Marine Scott Ritter, bemerkte kürzlich in einem Gespräch im Staate Washington, dass Bush die Entscheidung, Iran im Juni zu bombardieren, bereits «abgesegnet» habe. Er sagt, Seymour Hersh werde die Details in einem Artikel im Magazin Der New Yorker veröffentlichen. Dieser Angriff würde ein gewaltiges Risiko darstellen, ganz Südwestasien zu destabilisieren und jede Verbesserung in den transatlantischen Beziehungen der jüngsten Zeit wieder zunichte zu machen.

    Vielleicht lautet die Rechnung der USA wie folgt: Ungeachtet der unlängst in Europa gemachten Freundschaftsbezeigungen zwischen Bush und verschiedenen Europäern, besonders Chirac, geht das Projekt der Falken im Pentagon wie geplant voran. Europa wird protestieren, und die Nato wird darunter leiden. Die Mannschaft von Bush wird das wahrscheinlich riskieren. Sie werden Frankreich mit einer bedeutsamen Rolle in Syrien und in Libanon, den früheren französischen Gebieten nach dem Ersten Weltkrieg und den Sykes-Picot-Abkommen* locken. Wenn der Angriff auf den Iran irgendwie zu einem Regimewechsel führt, werden sie sich die dortige Beute mit dem loyalen Grossbritannien teilen, so wie sie es im Irak getan haben.

    All dies lässt vermuten, dass die Ölpreise in Kürze noch viel unbeständiger werden, vielleicht zusammen mit dem Dollar, wenn das von Öl abhängige China und andere Länder versuchen, die Waffe des Drucks auf den Dollar zu nutzen, um Washington zu bändigen. Die Opec hat soeben einen «möglichen, aber unwahrscheinlichen» Ölpreis von 80 Dollar pro Barrel etwa in den kommenden zwei Jahren erwähnt.

    Die Ankündigung Südkoreas in diesen Tagen die Abhängigkeit von Dollarreserven zu verringern und zu diversifizieren, der nur wenig später ein Dementi folgte, zeigt, welch einen Schlag die asiatischen Zentralbanken der finanziellen Weltherrschaft der USA gegenwärtig versetzen könnten. Das Umfeld für den Dollar und das Öl ist in hohem Masse instabil. Washington scheint beides nicht zu kümmern.

    * Britisch-französisches Abkommen (1916) zur Interessenaufteilung im Nahen Osten. Frankreich und Grossbritannien sind bereit, innerhalb bestimmter Gebiete einen unabhängigen arabischen Staat oder eine Konföderation arabischer Staaten anzuerkennen und zu schützen unter der Souveränität eines arabischen Oberhauptes.

    Aus: Zeit-Fragen Nr.12 vom 21.3.2005

     

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    Ölwaffe III

    Über den Autor

    Geboren 1944, wuchs zwischen den Ölfeldern von Texas auf. Das mag der Grund sein, warum ihn die Beschäftigung mit der technisch und politisch aufregenden Welt des Öls nicht mehr losließ.

    Seit über 30 Jahren ist er wissenschaftlich und journalistisch tätig. Er hat seither Arbeiten über die verschiedensten Aspekte internationaler Öl-, Energie- und Wirtschaftspolitik in unterschiedlichen Magazinen und Zeitschriften veröffentlicht, unter anderem auch in TIPRO-Reporter, dem Magazin der unabhängigen Ölförderer in Texas.

    Darüber hinaus hat er regelmäßig Beiträge über internationale Wirtschafts- und Energiefragen in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht, unter anderem in European Banker, Business Banker International, Grant`sInvestor, Nikon Keizai Shimbun (Japan) und Foresight Magazine. Der Autor lebt heute als freier Schriftsteller in der Nähe von Frankfurt am Main.

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